Rot-Grün: Erste Einschätzung des Koalitionsübereinkommens

Die Überraschung war groß, als der Wiener Bürgermeister Dr. Michael Häupl (SPÖ) im Oktober ankündigte Koalitionsgespräche mit den Grünen zu führen. Ich habe das damals als mutigen Schritt eingestuft.

Die Verhandlungen verliefen anscheinend sehr positiv und heute wurde dann das Koalitionsübereinkommen „Gemeinsame Wege für Wien“ veröffentlicht, welches am 15. November 2010 unterschrieben werden soll.

Der Text – und das überrascht mich schon – ist sehr, sehr umfangreich (77 Seiten) und teilweise wirklich ambitioniert.

Was kam?

Ich hatte gehofft, dass Rot und Grün Visionen entwickeln und formulierte vier Punkte, die ich mir persönliche wünschte:

  1. Anti-Diskriminierung
  2. Barrierefreiheit und inklusive Gesellschaft
  3. Selbstbestimmungsrecht
  4. Open Data

Was kam davon? Nach Durchsicht des Übereinkommens – ich fasse für die Behindertenbewegung immer Inhalte solcher Dokumente in Artikel zusammen – meine erste Einschätzung aus dem Bauch heraus:

ad 1) Das Thema Anti-Diskirminierung war beiden Parteien anscheinend sehr wichtig und hat breiten Platz eingenommen. Gemeint sind mit Anti-Diskriminierung meist Menschen mit Migrationshintergrund sowie Frauen. Es gibt zwar Stellen, wo Rechte auch für Lesben oder Schwule oder behinderte Menschen gefordert werden; doch dies ist eher die Ausnahme. Ob das in der Praxis dann auch so sein wird, wird spannend zu beobachten sein. Angekündigt wurde u.a., dass Wien die Behindertenrechtskonvention und die Kinderrechtskonvention der UNO umsetzen will.

ad 2) Barrierefreiheit wird mehrfach bei einzelnen Punkten erwähnt. Doch das schaut nicht konzeptionell aus, sondern ist eher Flickwerk. Nicht, dass ich die mehrfache Erwähnung nicht befürworten würde, aber die große Linie ist nicht erkennbar. Man wird sehen, ob sich wirklich etwas verbessert.

ad 3) Der Bereich Selbstbestimmung wird punktuell erwähnt; und das nicht mal schlecht („Die Wiener Stadtregierung arbeitet dafür, Menschen mit Behinderung in ihrem Streben nach Selbstbestimmung zu unterstützen.„). Angekündigt wird Schulassistenz und Persönliche Assistenz als Leistung anzubieten. Es ist aber auch deutlich ein Fürsorgedenken aus den Texten herauszulesen.

Sehr negativ berührt hat mich folgende Textstelle: „Dem Anliegen der Integration behinderter Kinder ist weiterhin Rechnung zu tragen. In jenen Fällen, wo eine Integration sinnvoll und möglich erscheint und ein Maximum an spezifischer und qualitativ gesicherter Betreuung sichergestellt ist, ist eine Integration in die Regelschule zu ermöglichen.“ So einen hilflosen Text würden sogar fortschrittliche ÖVPler ablehnen; für SPÖ und Grüne ist das wirklich blamabel. Bleibt zu hoffen, dass hier in der Praxis nachgebessert wird.

ad 4) Open Data kommt! Das klingt gut und wird sehr interessant. Wien wird hier österreichweit sicherlich eine Führungsposition einnehmen.

Zufrieden?

Ich glaube es wäre voreilig, diese Frage jetzt schon zu beantworten. Man kann das Bemühen beider Parteien herauslesen, etwas Neues zu wagen. Das alleine ist schon ein großer Fortschritt!

Redaktionell ist manches gut gelaufen; manches aber auch missglückt. So werden behinderte Menschen auch als Menschen „mit Handicaps“, „mit speziellen Bedürfnissen“ oder auch „besonderen Bedürfnissen“ betitelt. Solche Unstimmigkeiten (Fehlleistungen) sind leicht auszubessern, wenn die Betroffenen auch in der Umsetzung eingebunden sind.

Ich glaube die nächsten Jahre könnten in Wien wirklich interessant und spannend werden. Ich freue mich schon darauf.

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